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Liebe Mitarbeiter - auch Führungskräfte sind Menschen!?!

Ein offener Brief eines Vorstandsvorsitzenden an seine gesamte Belegschaft, der nie abgeschickt wurde.


 

Liebe Kolleginnen und Kollegen,


ich habe mich entschlossen, Ihnen allen heute auf sehr persönliche Art und Weise zu schreiben. Ohne einen aktuellen Anlass und ohne eine Ankündigung von neuen Veränderungen. Denn: einige der folgenden Gedanken bewegen mich schon seit längerem und ich muss sie einfach mal loswerden.


Zunächst vorneweg: ich habe große Lust, mit Ihnen gemeinsam die Zukunft zu gestalten. Ich habe aber auch erkennt, dass meine größte berufliche Herausforderung gerade erst begonnen hat. Im Alter von 55 Jahren! Denn noch nie waren die Strömungen so vielfältig und der Druck so hoch. Wir leben und arbeiten in einer Zeit massiver Umwälzungen und Veränderungen. Inflation, Zinsentwicklungs-Achterbahn, Lieferketten-Wirrwarr, Personalengpässe, neue Technologien etc. Mit allen brutalen Konsequenzen, die das für unsere Ertragskraft und unser Geschäftsmodell mit sich bringt.


Ich denke aber auch an andere Veränderungen und Entwicklungen:

  • neue Erwartungshaltungen an die Art und Weise, wie wir arbeiten, Lösungen entwickeln und Entscheidungen treffen (Stichwort „Agilität“)

  • veränderte Anforderungen von Mitarbeiterseite an flexible Arbeitszeitmodelle, Arbeitsplatzgestaltung, Vereinbarkeit von Beruf und Familie (Stichwort „new work“)

  • neue Wünsche an die Art und Weise, wie Sie als Mitarbeiter (oder als Führungskraft im mittleren Management) von Ihrem Vorgesetzten geführt werden möchten

  • welche Unternehmenskultur Sie sich wünschen, um sich wohl zu fühlen

  • welche Erwartungshaltungen die jüngere Generation an ihren Arbeitgeber und ihren Job hat

  • wie es älteren Kollegen geht, für die das Tempo der Veränderung eine große Herausforderung darstellt

  • die berechtigte und verstärkte Suche nach „Sinn und Werten“

  • usw. (diese Liste ließe sich beliebig fortsetzen)

Gefühlt soll man alles gleichzeitig gestalten, verändern und überall investieren. Ohne zu wissen, was das betriebswirtschaftlich am Ende wirklich bringt. Bei all diesen Forderungen denkt kaum einer daran, wie wir diese Investitionen finanziell und zeitlich stemmen sollen.


Ganz nebenbei hören Sie als Vorstand dann noch fast wöchentlich von externen Prüfern, Aufsichtsbehörden, Verbänden, Unternehmensberatern oder angeblich ganz schlauen anderen Menschen, was Sie als Chef alles dringend im Unternehmen verändern müssen, weil sonst „das Schiff mit mir als Kapitän“ frontal auf den nächsten Eisberg laufe.

Es beschleicht einen das Gefühl: alle wissen was zu tun ist, nur ich habe es angeblich nicht drauf.


So mancher von Ihnen als Mitarbeiter fragt bestimmt hinter vorgehaltener Hand:

„Kriegen die da oben mit, was sich alles verändert? Wissen die, was uns beschäftigt und dass wir jederzeit kündigen könnten? Und wissen die, was für eine erfolgreiche Zukunft unseres Unternehmens zu tun ist? Hat unsere Vorstandsetage einen Plan?“


Glauben Sie mir: ein Vorstand bekommt diese Veränderungen und Erwartungshaltungen mit! Vielleicht leben wir manchmal im Elfenbeinturm oder der Käseglocke, aber wir sind (weiterhin) von dieser Welt und leben mitten drin. Wir spüren diese veränderten Anforderungen vom Markt und den großen Wunsch von Ihnen als Mitarbeiter, all diese Themen am besten gleichzeitig aufgreifen und lösen zu wollen.

Wie es „uns Chefs“ damit geht? Ich kann nur von mir reden: es war schon mal deutlich einfacher, auf der Kommandobrücke stehen zu dürfen! Denn wer behauptet, die Antworten auf all diese Fragen liegen völlig klar auf dem Tisch und müssen nur abgearbeitet werden, der lügt (oder weiß es nicht besser).


Glauben Sie mir: Vorne ist im Moment da, wo sich keiner auskennt!

Strategiearbeit ist eine „Wette“. Ob sie erfolgreich war, weiß man immer erst hinterher.


Was diese Gesamtgemengelage bei mir auslöst? In einer ruhigen Minute fragt man sich dann: wie viele Jahre schaffe ich dieses hohe Arbeits- und Terminpensum noch, das wir aktuell haben und weiter brauchen? Gibt es für Vorstände auch mal die Chance, über ein Sabbatical einige Monate eine Auszeit zu nehmen, durchzuatmen, die anderen schönen Dinge des Lebens zu genießen und wieder in Ruhe strategisch für die Firma nachdenken zu können?

Mich hat noch niemand danach gefragt, wie es mir als Vorstandschef in meiner Rolle aktuell geht!

Vielleicht sagt der eine oder andere von Ihnen: wer so viel Geld verdient, sollte kein Mitgefühl erwarten und nicht jammern. Tue ich nicht. Dennoch kann ich Ihnen versichern: Auch Vorstände und Führungskräfte sind Menschen! Wirklich! Glauben Sie es mir. Geld allein macht ja bekanntlich nicht glücklich. Auch ich habe eine Familie mit Erwartungshaltungen an mich, die ich kaum erfüllen kann. Um nur ein Beispiel zu nennen. Darüber hinaus fragt man sich immer wieder, wie man als Chef fachlich den neuen Anforderungen gerecht wird. Festgemacht an Themen wie „digital-automatisierte Geschäftsprozesse, Robotic Process Automation, moderne Formen des Marketing oder agiler Führung“: Was haben wir „Chefs“ in unserer Karriere darüber schon alles gelernt, um gute (Investitions-)Entscheidungen treffen zu können? Noch fast nichts! Auf dieser nebulösen Basis stellen wir uns heute den Herausforderungen, mit Ihnen gemeinsam die richtigen Weichen zu stellen. Das fühlt sich manchmal mehr nach Last als nach Lust an.

Ganz am Rande: haben Sie schon mal mit Vorstandskollegen und Führungskräften gearbeitet, die auch nicht alle einfach sind? Die in vielen Dingen anders denken und handeln, als man es selbst für richtig hielte? Nach außen soll das von Ihnen möglichst niemand merken. Wir geben uns viel Mühe. Aber auch das bindet viel Energie, die wir an anderer Stelle bräuchten. Warum ich als Chef kein Machtwort spreche und dann einfach mal in den Managementrunden auf den Tisch schlage, entgegen Sie mir jetzt? Weil das bestimmt nicht die Führungskultur ist, die Sie später als Mitarbeiter täglich erleben möchten.


Ich möchte Ihnen mit diesen offenen Zeilen nochmals sagen: Vorstände sind auch (nur) Menschen. Mit einem Job, der manchmal sehr belastend sein kann und einem oft den Schlaf raubt. Wenn man kaum ehrliches Feedback erhält (gerne auch mal in Form von ehrlich gemeintem Lob), dann wissen sie häufig nicht, ob sie ihren Job aus Mitarbeitersicht recht machen. Und fühlen sich häufig einsam. Bei aller unternehmerischer Orientierung, die wir Chefs haben müssen: am Ende möchten wir auch ein guter Chef sein. Das ist oft ein gefühlt großer Spagat.

Unsere Aufgabe als Vorstand ist es, Ihnen Sinn, Orientierung und Wertschätzung zu geben. Das weiß ich. Schenken wir uns dafür gegenseitig Vertrauen und Offenheit. Dann kriegen wir das alles gemeinsam hin. Ich möchte Ihnen zurufen: ich brauche Sie. Indem Sie mit anpacken, gestalten und verändern. Genauso sehen das meine Kollegen im Management. Aber ich habe oft den Eindruck, dass viele nicht wahrhaben wollen, was die Zeit geschlagen hat. Wir können nicht (wie in der Kindererziehung) alle Themen 30 Mal durchkauen, bis der letzte dann entschieden hat, ob er nun mitmacht oder nicht. Diese Zeit gibt uns der Wettbewerb nicht. Und außerdem ist es echt ätzend, wenn man als Vorstand viele Dinge schon zig Mal erläutert hat und dann hören muss, dass „zu wenig kommuniziert wird und zu wenig Transparenz herrscht“. Da könnte ich manchmal durchdrehen. Nur darf das keiner merken, sonst heißt es wieder, ich hätte kein Gefühl für die Sichtweisen und Sorgen der Mitarbeiter. Ich sage es ganz deutlich: Kommen Sie bitte raus aus Ihrem alten Trott und Ihren alten Gewohnheiten. Jeder an seinem Platz. Ich an meinem. Wir haben keine Zeit, uns in unseren Veränderungsprozessen langwierig diskutierend im Kreis zu drehen und für alle Ihre (manchmal abstrusen) Einzelsichtweisen immer Zeit und Verständnis aufzubringen. Lernen Sie Neues, probieren Sie aus, seien Sie mutig. Starten Sie los, wir haben die Richtung schon oft genug kommuniziert. Warten Sie nicht auf andere, die es für Sie und Ihr Unternehmen richten sollen. Hören Sie auf zu jammern und zu lästern über „die da oben“. Haben Sie Verständnis für Ihre Chefs und geben Sie ihnen eine Chance, das Unternehmen gut in die Zukunft zu führen. Kommen Sie (endlich) mit. Selbst wenn wir Vorstände auch nicht immer genau wissen, wohin uns die Zukunft führen wird. Wir packen das (an)!

Herzliche Grüße an Sie alle!

Ihr Vorstandsvorsitzender, der im echten Leben auch nur ein Mensch ist.

 

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